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Vehikel

„Aber was sollte er tun? Bleiben, wo er war, oder weiterziehen?“ Diese oblomowsche Frage war für ihn von noch tieferer Bedeutung als Hamlets „Sein oder Nichtsein“.

Aus »Oblomow« von Ivan Goncharow


(…) Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,

Und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.

Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,

Ein kleines kaum begonnenes Profil -.

Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,

Ein seliges, das blendet und verschwendet

An dieses atemlose blinde Spiel ...

Aus »Karussell« von Rainer Maria Rilke, 1875-1926, neue Gedichte


Im aktuellen Mobiltätsdiskurs geht es längst nicht mehr um ein Woher oder Wohin, sondern um ein grundsätzliches Veharrenwollen. Dem Diskurs kann man eine Tendenz zum Liturgischen unterstellen, das ständige Wiederholen hat etwas Narkotisierendes und damit Beruhigendes. Immer noch und immer wieder dreht es sich um ein Objekt, das nur in den urbanen Ballungsräumen allmählich an Attraktivität verliert, hat es doch dort immerhin seinen funktionalen Wesenskern längst eingebüßt, nämlich Vehikel zu sein, das es tatsächlich ermöglicht in einer vorhersehbaren und dem Gefährt angemessenen Zeit von A nach B zu kommen.

Auch, wenn es kaum vorstellbar scheint, dass nicht schon alles weitestgehend besprochen ist, bleiben merkwürdig weiße Flecken, stille Orte, des Unverbindlichen an denen das Widersprüchliche keine Zuflucht hat – das Ungesagte ist hier die Tarnkappe der Unverbrüchlichkeit automobiler Liebe. Vor der Deutung steht die Angst der Entzauberung, die nicht gänzlich unbegründet ist, zu komfortabel ist (noch) ihre Behauptung. Es lohnt also die ungestellten Fragen zu stellen, sie sind letztlich der Schlüssel zu einer Emanzipation die schlicht auf Alternativen gründet. Wie diese letztlich ausfallen ist, wie immer, eine Frage der Gestaltung und des wachen, kritischen Geistes.

Worin aber besteht nun im Wesentlichen die ungebrochene Attraktivität des Automobils?

Zunächst, das Autofahren, in seiner scheinbaren Alternativlosigkeit stillt nur für einen Moment den Hunger nach Autonomie / Exploration, Wesenskern menschlicher Rastlosigkeit, die uns, durch Fernweh gespeist und in einen diffusen dennoch latenten Bewegungsdrang mündend, aus den Sesseln reißt. Wer ehrlich ist, kann feststellen, dass die Formel, mehr Verkehr noch mehr Verkehr nach sich zieht, nicht nur de facto stimmt, sondern auch in Bezug auf unseren Fortbewegungsdrang. Solange wir nicht ankommen wollen, uns den Zielen und Konsequenzen verweigern, bleiben wir auf der Strecke. Selbst im gewerblichen Verkehr, in dem die Zumutungen an die Fahrer jeder Beschreibung trotzen, wird unverdrossen das Hohelied der Truckerromantik gesungen.

Die Körper der Karossen, festgefrorene Plastiken einer Flucht nach vorne. Anders als die alerten Naturkörper verweigern die mobilen Geräte den Gestus der Bewegung. Monothematisch werden, mal mehr mal weniger aggressiv, Formeln von Potenz und Beweglichkeit zelebriert, die in eine Bewegung übersetzt wird. Käfergleich verharrt der Körper unverändert in seiner Formparese. (Das Mittelalter ist u. a. auch über die Unbeweglichkeit der Rüstungen gestolpert.)

Immer noch gipfelt die automobile Idealvorstellung im Konzept des Sportwagens, der die Verpflichtungen des Alltags abstreift, damit auch das Wohin – der Weg ist das Ziel. Allerdings, festgefahren im Stau, zwischen Gigalinern, gibt er um so mehr die traurige Antithese des fulminanten Auftritts eines PS-strotzenden Projektils, nämlich eine Ekstase des Statischen. Ein stummes Schreien, selbst im Brüllen, welches in der Raserei zu sich findet, dabei sich dem Stillstand verweigernd, tragisch komisch. Unfreiwillig erscheint der PS-Bolide wie das trotzige Kind, das, mangels Einsicht in die Verhältnisse, nicht aufhören kann einzufordern.

Das Gerät nimmt uns auf, ohne darauf äußerlich zu reagieren, mit ihm gelingt der animistische Transfer nicht, bei dem die Tierhaut zu einer zweiten Haut des Träges wird und der Träger durch die Bewegungen des Körpers, durch Nachahmung und Darstellung in die Rolle des Tieres schlüpfend, einen Transfer vollzieht der im Idealfall die Erfahrung, über den eigenen Körper hinauszuwachsen, sich überraschenderweise in anderer, ungeahnter Perspektive zu erleben, ermöglichen kann. Bewegung, Fortbewegung hat immer etwas Performatives, wir teilen uns, vermittels unserer Körper, der Welt und letztlich uns selbst mit. Ähnelt die Tierhaut dem Mantel, der uns auf unseren Wegen behütet, aber die Erscheinung und Beweglichkeit, somit die Autonomie des Körpers, nicht in Frage stellt, nimmt uns das Gefährt auf, wir werden inkorporiert, verschwinden, werden gleichsam verschluckt und da es dem Gerät an habituellen Funktionen mangelt (sieht man von den akustisch begleiteten rudimentären Gesten der Beschleunigung ab) kommt in ihm der Körper merkwürdigerweise zur Ruhe.

So des Persönlichen entbunden, fixiert und ruhig gestellt erscheint die Perspektive des »autonomen Fahrens«, auf das die automobile Zukunft zusteuert, nur folgerichtig.

Die Perspektive verschiebt sich von der Absicht des Piloten zu einer technischen Fragestellung mit gesellschaftlichem Zuschnitt. Hier ist nicht der Vorwärtsdrang des Einzelnen von Belang, sondern der gemeinschaftlich vollzogene Verkehr. Hier geht es nicht um die individuelle Fahrt, sondern allgemein um Transfer von allem und jedem, der, wie der Fahrer in der Fixierung durch das Gefährt, erst im Stillstand beherrschbar erscheint, er entbindet kollektiv von der Frage nach dem Wohin und Wozu – der ideale Verkehr ist eine Simulation: ankommen ohne aufzubrechen.

Vehikel

„Aber was sollte er tun? Bleiben, wo er war, oder weiterziehen?“ Diese oblomowsche Frage war für ihn von noch tieferer Bedeutung als Hamlets „Sein oder Nichtsein“.

Aus »Oblomow« von Ivan Goncharow


(…) Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,

Und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.

Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,

Ein kleines kaum begonnenes Profil -.

Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,

Ein seliges, das blendet und verschwendet

An dieses atemlose blinde Spiel ...

Aus »Karussell« von Rainer Maria Rilke, 1875-1926, neue Gedichte


Im aktuellen Mobiltätsdiskurs geht es längst nicht mehr um ein Woher oder Wohin, sondern um ein grundsätzliches Veharrenwollen. Dem Diskurs kann man eine Tendenz zum Liturgischen unterstellen, das ständige Wiederholen hat etwas Narkotisierendes und damit Beruhigendes. Immer noch und immer wieder dreht es sich um ein Objekt, das nur in den urbanen Ballungsräumen allmählich an Attraktivität verliert, hat es doch dort immerhin seinen funktionalen Wesenskern längst eingebüßt, nämlich Vehikel zu sein, das es tatsächlich ermöglicht in einer vorhersehbaren und dem Gefährt angemessenen Zeit von A nach B zu kommen.

Auch, wenn es kaum vorstellbar scheint, dass nicht schon alles weitestgehend besprochen ist, bleiben merkwürdig weiße Flecken, stille Orte, des Unverbindlichen an denen das Widersprüchliche keine Zuflucht hat – das Ungesagte ist hier die Tarnkappe der Unverbrüchlichkeit automobiler Liebe. Vor der Deutung steht die Angst der Entzauberung, die nicht gänzlich unbegründet ist, zu komfortabel ist (noch) ihre Behauptung. Es lohnt also die ungestellten Fragen zu stellen, sie sind letztlich der Schlüssel zu einer Emanzipation die schlicht auf Alternativen gründet. Wie diese letztlich ausfallen ist, wie immer, eine Frage der Gestaltung und des wachen, kritischen Geistes.

Worin aber besteht nun im Wesentlichen die ungebrochene Attraktivität des Automobils?

Zunächst, das Autofahren, in seiner scheinbaren Alternativlosigkeit stillt nur für einen Moment den Hunger nach Autonomie / Exploration, Wesenskern menschlicher Rastlosigkeit, die uns, durch Fernweh gespeist und in einen diffusen dennoch latenten Bewegungsdrang mündend, aus den Sesseln reißt. Wer ehrlich ist, kann feststellen, dass die Formel, mehr Verkehr noch mehr Verkehr nach sich zieht, nicht nur de facto stimmt, sondern auch in Bezug auf unseren Fortbewegungsdrang. Solange wir nicht ankommen wollen, uns den Zielen und Konsequenzen verweigern, bleiben wir auf der Strecke. Selbst im gewerblichen Verkehr, in dem die Zumutungen an die Fahrer jeder Beschreibung trotzen, wird unverdrossen das Hohelied der Truckerromantik gesungen.

Die Körper der Karossen, festgefrorene Plastiken einer Flucht nach vorne. Anders als die alerten Naturkörper verweigern die mobilen Geräte den Gestus der Bewegung. Monothematisch werden, mal mehr mal weniger aggressiv, Formeln von Potenz und Beweglichkeit zelebriert, die in eine Bewegung übersetzt wird. Käfergleich verharrt der Körper unverändert in seiner Formparese. (Das Mittelalter ist u. a. auch über die Unbeweglichkeit der Rüstungen gestolpert.)

Immer noch gipfelt die automobile Idealvorstellung im Konzept des Sportwagens, der die Verpflichtungen des Alltags abstreift, damit auch das Wohin – der Weg ist das Ziel. Allerdings, festgefahren im Stau, zwischen Gigalinern, gibt er um so mehr die traurige Antithese des fulminanten Auftritts eines PS-strotzenden Projektils, nämlich eine Ekstase des Statischen. Ein stummes Schreien, selbst im Brüllen, welches in der Raserei zu sich findet, dabei sich dem Stillstand verweigernd, tragisch komisch. Unfreiwillig erscheint der PS-Bolide wie das trotzige Kind, das, mangels Einsicht in die Verhältnisse, nicht aufhören kann einzufordern.

Das Gerät nimmt uns auf, ohne darauf äußerlich zu reagieren, mit ihm gelingt der animistische Transfer nicht, bei dem die Tierhaut zu einer zweiten Haut des Träges wird und der Träger durch die Bewegungen des Körpers, durch Nachahmung und Darstellung in die Rolle des Tieres schlüpfend, einen Transfer vollzieht der im Idealfall die Erfahrung, über den eigenen Körper hinauszuwachsen, sich überraschenderweise in anderer, ungeahnter Perspektive zu erleben, ermöglichen kann. Bewegung, Fortbewegung hat immer etwas Performatives, wir teilen uns, vermittels unserer Körper, der Welt und letztlich uns selbst mit. Ähnelt die Tierhaut dem Mantel, der uns auf unseren Wegen behütet, aber die Erscheinung und Beweglichkeit, somit die Autonomie des Körpers, nicht in Frage stellt, nimmt uns das Gefährt auf, wir werden inkorporiert, verschwinden, werden gleichsam verschluckt und da es dem Gerät an habituellen Funktionen mangelt (sieht man von den akustisch begleiteten rudimentären Gesten der Beschleunigung ab) kommt in ihm der Körper merkwürdigerweise zur Ruhe.

So des Persönlichen entbunden, fixiert und ruhig gestellt erscheint die Perspektive des »autonomen Fahrens«, auf das die automobile Zukunft zusteuert, nur folgerichtig.

Die Perspektive verschiebt sich von der Absicht des Piloten zu einer technischen Fragestellung mit gesellschaftlichem Zuschnitt. Hier ist nicht der Vorwärtsdrang des Einzelnen von Belang, sondern der gemeinschaftlich vollzogene Verkehr. Hier geht es nicht um die individuelle Fahrt, sondern allgemein um Transfer von allem und jedem, der, wie der Fahrer in der Fixierung durch das Gefährt, erst im Stillstand beherrschbar erscheint, er entbindet kollektiv von der Frage nach dem Wohin und Wozu – der ideale Verkehr ist eine Simulation: ankommen ohne aufzubrechen.

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